Unterschiedliche industrielle Wasserkraftnutzung in Neuhaus

Gewerbe & Handwerk

„Aufstellungsplan zweier Wasserröhrenkessel“ im Kesselhaus des Elektrizitätswerks Neuhaus, 1900 (Stadt- und KreisA Pb, G 453, unfol.)

Zur Geschichte der Neuhäuser Wasserkraftnutzung, die im örtlichen Textilgewerbe zum Einsatz kam, gehört auch das Intermezzo der „Hallenstein´schen Spinnfabrik“. Ihre Produktionsgebäude wurden 1872 (1874) von der Firma B. Hallenstein & Fels am Zusammenfluss von Kleiner Lippe und Pader östlich der Lippebrücke errichtet.[1] Die Tuchfabrik beschäftigte in Neuhaus zeitweise bis zu 200 Arbeitskräfte, und war damit einer der größten Arbeitgeber im Ort. Inwiefern die Wasserkraft der Pader für die Herstellung von Kunstwolle genutzt wurde, ist bis dato noch unklar. Womöglich trieb ein von der Mühlenpader neu abgezweigter Kanal ein oder mehrere Wasserräder an. Über deren Wellen könnte die kinetische Energie des Wassers auf Treibriemen von mechanisierten Spindelmaschinen, Spinnrädern oder Webstühlen übertragen worden sein. Im November 1886 brannten die beiden Hauptgebäude der im Volksmund sogenannten „Lumpenfabrik“ ab. Unter geändertem Firmennamen „Hallenstein & Söhne“ wurden im Folgejahr (1887) neue Produktionsstätten auf dem Inselgelände ausgeführt. Gut ein Jahrzehnt später, im Jahr 1897, kaufte ein Konsortium von wohlhabenden Paderborner Geschäftsleuten den Vorbesitzern die mittlerweile stillgelegte Fabrik ab. Man plante auf dem Firmengelände den Bau eines ersten Elektrizitätswerkes, welches Neuhaus mittels Wasserkraftturbinen elektrifizieren sollte.[2]

„Lageplan des Elektrizitätswerks in Neuhaus“, 1900 (Stadt- und KreisA Pb, G 453, unfol.)
„Lageplan des Elektrizitätswerks in Neuhaus“, 1900 (Stadt- und KreisA Pb, G 453, unfol.)

Doch die unter Federführung des Mühlenbesitzers Abraham Rosenthal ausgearbeiteten Pläne, die er zusammen mit dem Paderborner Elektrotechniker Hermann Schmitz als Kompagnon umzusetzen gedachte, kamen nicht zur Ausführung. Stattdessen gründete das Konsortium ein eigenes Unternehmen, das im Dezember 1897 unter dem Titel „Elektrizitätswerk Neuhaus GmbH“ firmierte.[3] Nach Fertigstellung des Kraftwerks konnte der erste Strom im März 1898 mittels „oberirdisch verlegter, isolierter Kupferdrähte“[4] an die Abnehmer geliefert werden. Aufgrund der geringen Auslastung ihres Kraftwerkes, das in erster Linie Neuhäuser Privathaushalte mit Beleuchtungsenergie versah, plante das Unternehmen den Aufbau einer elektrischen Straßenbahnverbindung zwischen Neuhaus und Paderborn.[5] Realisiert wurde das Projekt schließlich von der kapitalkräftigeren Bochumer „Westfälische Kleinbahnen Aktiengesellschaft“, die im Februar 1899 von der Bezirksregierung eine entsprechende Betriebserlaubnis erhielt. Wohl zur Erhöhung der Stromerzeugung installierte man 1900 in einem separaten Kesselhaus zwei Dampfmaschinen, die vermutlich mit Paderwasser gespeist wurden.[6] Zuvor war die natürliche Wasserkraft einem „Maschinenhaus“ zugeführt worden, das quer über dem besagten Seitenkanal der alten Mühlenpader angelegt worden war.[7] 1909 ging das Kraftwerk der Neuhäuser Straßenbahn in die Hände der „Paderborner Elektrizitäts AG“ (PESAG) über.[8] Von 1911 bis 1922 siedelte sich auf dem Inselgelände zwischen Pader und Lippe die „Eichelsberger Textilwerke“ aus Hannover an. Im November 1922 übernahmen schließlich die „Benteler Werke“ aus Bielefeld das Areal,[9] um es bis auf den heutigen Tag grundlegend umzugestalten.

„Aufstellungsplan zweier Wasserröhrenkessel“ im Kesselhaus des Elektrizitätswerks Neuhaus, 1900 (Stadt- und KreisA Pb, G 453, unfol.)
„Aufstellungsplan zweier Wasserröhrenkessel“ im Kesselhaus des Elektrizitätswerks Neuhaus, 1900 (Stadt- und KreisA Pb, G 453, unfol.)

[1] Vgl. Wurm, Neuhaus, S. 82f. Rolf-Dietrich Müller gibt hingegen den Start des Unternehmens in Neuhaus mit 1874 an. Zum Lebenslauf von Willi Fels und seiner Ehefrau Sarah Hallenstein, die zusammen im Jahr 1888 nach Neuseeland auswanderten. Vgl. Ders.: Neuhaus und Neuseeland. Zur Geschichte der Unternehmerfamilien Hallenstein und Fels, in: Die Residenz 101 (1994), S. 43-46.  

[2] Vgl. Bedranowsky, Birgit: Neue Energie und gesellschaftlicher Wandel. Strom und Straßenbahn für das Paderborner Land (Paderborner Historische Forschungen, Bd. 12), Köln 2002, S. 48-50.

[3] Vgl. Bedranowsky, Neue Energie, S. 50.

[4] Beschreibung des Neuhäuser Amtmanns im März 1898, zit. n. Bedranowsky, Neue Energie, S. 50.

[5] Vgl. Bedranowsky, Neue Energie, S. 53.

[6] Vgl. entsprechende Konzession von 1899, StadtA Pb, G 453, unfol. Die beiden „Wasserröhrenkessel, System Alban“, welche für eine maximale „Dampfspannung“ von 9 Atmosphären ausgelegt waren, wurden von der Firma Walther & Co. in Kalk bei Köln geliefert.

[7] Vgl. das langgestreckte Gebäude auf Flur V, Parz. 488/6, „Lageplan des Elektrizitätswerks in Neuhaus“, angefertigt im Auftrag der Westfälischen Kleinbahn AG, 27. Feb. 1900. StadtA Pb, G 453, unfol.

[8] Vgl. Wurm, Neuhaus, S. 83.

[9] Vgl. Wurm, Neuhaus, S. 83.

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Dies ist ein Auszug aus einem Aufsatz des Historikers Prof. Dr. Michael Ströhmer. Der Originaltitel des Aufsatzes lautet: "Wirtschaftsregion Pader - Eine geschichtswissenschaftliche Skizze (1350-1950)". Sollten Sie weiteres Interesse an der Wirtschaftsgeschichte der Pader haben, empfehlen wir Ihnen den vollständigen Aufsatz (PDF-Datei) herunterzuladen.

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