"Alte" Wasserkunst

Gewerbe & Handwerk

„Situations-Plan von der vor Neuhaus belegenen Wasserkunst“, 1805 (LA Münster,
„Situations-Plan von der vor Neuhaus belegenen Wasserkunst“, 1805 (LA Münster, KDK Münster 16/324, fol. 3r, Fotokopie: Privatarchiv G. G. SANTEL, Paderborn)

Die ältere der beiden Neuhäuser Hebewerke entstand wahrscheinlich im Zuge des Ausbaus der Residenz zum repräsentativen Renaissanceschloss. Ihr Bauherr dürfte Fürstbischof Dietrich v. Fürstenberg gewesen sein, der in den 1590er Jahren zugleich im Innenhof seiner Vierflügelanlage einen reich verzierten Laufbrunnen aufstellen ließ. Dieser erste „Neptunbrunnen“ wurde sehr wahrscheinlich von demselben Steinhauermeister gefertigt, der auch den „Aktaionkamin“ ausgeführt hat, welcher sich heute noch im südöstlichen Eckturm des Schlosses im „Marschall-Tafelzimmer“ befindet.[1] Um die obere Sandsteinschale des „Neptunbrunnens“ gegen die Schwerkraft mit Wasser befüllen zu können, bedurfte es nicht nur eines mechanischen Hebewerkes, sondern auch einer stabilen Druckwasserleitung.[2] Beide Komponenten einer Wasserkunst lassen sich archivalisch bereits für das ausgehende 16. Jahrhundert fassen.[3]

In der fürstlichen Amtsrechnung von 1596/97 nennt der Schreiber Ausgaben für die Anfertigung mehrere Einzelbauteile, die zur ersten Neuhäuser „waßerKunst“ zusammengesetzt wurden:[4]

Neben einem neuen „[1.]Rath, daran die [2.]Kannen hangen“ werden genannt [3.]„Rennen [Gerinne], darin d[a]z waßerratt gehett“, ein neu verfertigtes [4.]„Stolwerck“ [Stuhlwerk, i. S. v. Ständerwerk], worauf der [5.]„kettel [Kessel, i. S. v. Hochbehälter] stehett“. Fertigungskosten entstanden auch für das Zimmern einer [6.]„treppen, da man hinuf stiget“ sowie für einen neuen Balken, der von Zimmerleuten unter die [7.]„bleyroren“ gesetzt worden ist.

Neuhaus, Alte Wasserkunst, Auszug aus der Baurechnung von 1596 (LA Münster, Fbtm Paderborn, Ämterrechnungen Neuhaus, Nr. 1046, fol. 92v-93r)
Neuhaus, Alte Wasserkunst, Auszug aus der Baurechnung von 1596 (LA Münster, Fbtm Paderborn, Ämterrechnungen Neuhaus, Nr. 1046, fol. 92v-93r)

Fasst man diese sieben Rechnungsposten zusammen, so ergibt sich das Bild einer typischen „Schöpfradanlage“ des Spätmittelalters. An den Außenkränzen eines Wasserrads wurden vermutlich irdene oder hölzerne Schöpfgefäße („Kannen“) befestigt, die sich durch die Eigendrehung des Rades im Strom mit Wasser füllten. Am Scheitelpunkt der Drehung angekommen, entleerten sich die Kannen durch ihr Eigengewicht in einen Hochbehälter („kettel“). Aus der Wandung dieses Sammelbehälters nahm dann vermutlich jene Druckleitung („bleyroren“) ihren Anfang, die zur Straße hin unterirdisch verlegt worden ist. Im Innenhof des Schlosses stieg das Leitungsende in der Sandsteinsäule des Neptunbrunnens auf. Der Ausfluss speiste zunächst die obere Brunnenschale, deren Überfluss dann das untere Hauptbecken befüllte.

Errichtet wurde das erste Schöpfwerk von einem „M.[eister] Michaell“, der „Sagenschneider“ zu Altenbeken war.[5] Dessen Beauftragung dürfte kein Zufall gewesen sein, da im Hochstift Paderborn das obere Beketal für sein Montangewerbe bekannt war.[6] Hier konzentrierten sich neben klassischen Wassermühlen auch technisch anspruchsvolle Hütten- und Hammerwerke, deren Blasebälge und Pochwerke mit Wasserkraft angetrieben worden sind. Womöglich war es die Expertise als Mühlenfachmann und Holztechniker, die Meister Michael nach Neuhaus kommen ließ.[7] Der Sägemüller selbst arbeitete im Sommer 1596 insgesamt 9 Tage, seine beiden Söhne jeweils 18 Tage am Hebewerk der alten Schlosswasserkunst. Teile des geschnittenen Baumaterials, „10 Holzer so eichen vnd Buchen“, lieferte der Meister gegen Rechnung von 2 ½ Talern aus Altenbeken mit an.[8] Für die Beaufsichtigung der wartungsintensiven Mechanik und des Leitungssystems mussten ebenfalls Fachleute beauftragt werden. Unter Fürstbischof Ferdinand v. Fürstenberg (amt. 1661-83) wurde hierzu in den 1660er und 1670er Jahren der Stadtwassermeister aus Paderborn verpflichtet.[9] Im frühen 18. Jahrhundert zeichnet Conrad Schlaun in seinem Neuhäuser Prospekt (1719) en passent eine Außenansicht des alten Wasserkunstgebäudes: Hinter der massiven dreibogigen „Nepomukbrücke“ platziert der Zeichner zwei Giebelfronten von Häusern, unter deren schützenden Satteldächern das Hebewerk zu vermuten ist.

Dieses Renaissancewasserwerk blieb auch nach dem Neubau der barocken „Neuen Wasserkunst“ (ab 1752) weiterhin im Betrieb. Eine Reparatur- und Unterhaltsrechnung, die der Hofbaumeister Franz Christoph Nagel (*1699 +1764) der Hofkammer im Jahr 1758 vorlegte, protokolliert die im Jahreslauf angefallenen Wartungsarbeiten an beiden Anlagen: Im Mai „nagelte“ ein Tagelöhner „Neu Leder an die alte waßerkunst“.[10] Eingefettetes Leder wurde schon im 16. Jahrhundert zur Abdichtung von Kolbenköpfen in Pumpzylindern eingesetzt. Zu vermuten ist daher, dass die alte Schöpfvorrichtung aus dem 16. Jahrhundert mittlerweile durch effizientere Kolbenpumpen ersetzt worden ist. Hierfür spräche auch Nagels ursprüngliches Konzept, im neu angelegten Schlossgarten (1726-1736) einen Wasserturm als „Point de vue“ errichten zu lassen.[11] Von dessen Hochbehälter aus sollten mehrere der tieferliegenden Wasserspiele und die großen Fontäne im Zentrum des Gartens mit Paderwasser versorgt werden – ein hydraulisches Großprojekt, das jedoch nicht mehr realisiert wurde.[12] Die Alte Wasserkunst wäre demnach wohl zunächst für die Befüllung des barocken Wasserturms vorgesehen gewesen. Für die technische Modernisierung hält die Rechnung ein weiteres Indiz bereit: Im Juni 1758 zogen die Tagelöhner Henrich Ebbeke und Heinrich Dietrich Gercken in der „alten [Wasserkunst] einmahl die Welle“[13] auf. Auch der Einbau einer Wasserradwelle verweist auf die Umstellung vom alten Schöpf- auf den zeitgemäßen Pumpbetrieb.

Neuhaus, von Hofbaumeister F. C. Nagel projektierter Wasserturm als „Point de vue“ im 1726-36 neu angelegten Schlossgarten (Residenzmuseum Schloss Neuhaus, Foto M. Ströhmer)
Neuhaus, von Hofbaumeister F. C. Nagel projektierter Wasserturm als „Point de vue“ im 1726-36 neu angelegten Schlossgarten (Residenzmuseum Schloss Neuhaus, Foto M. Ströhmer)

Neben der Hebe- und Leitungstechnik mussten auch die weitläufigen Wasserbauten gepflegt werden. Im Oktober 1758 fiel das übliche „Schneiden und Auswerfen“ der Wasserkunstpader an, wobei die „alte Waßerkunst zu stopfen“ gewesen sei.[14] Im November wurden die Reinigungsarbeiten am Mühlengraben fortgesetzt. Zwei Tagelöhner schnitten das Gras „auß der Kleinen Pader von St. Joannis Nepomuceni Brück biß an die newe Lippe Brücken“.[15] Da der bevorstehende Winter mit Bodenfrost drohte, isolierte man die oberirdischen Leitungen beider Wasserkünste, um Rohrbrüche zu vermeiden. Hierzu deckten Tagelöhner zwischen dem 30. Oktober und 12. November 1758 „die bleyerne röhren unter der schloß Brücken und die vexier röhren [im Schlossgarten] mit Mist“[16] ab – ein in der Frühen Neuzeit durchaus übliches Verfahren.

 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stand das alte Wasserkunstgebäude noch aufrecht. Mit dem Verkauf des Grundstücks an Freiherrn Alexander von der Lippe (1805) wurde dem Adeligen von der Münsteraner Kriegs- und Domänenkammer das Recht eingeräumt, das auf 20 Taler, 13 Groschen und 8 Pfennigen taxierte „Wasserkunst Gebäude“ bei Bedarf abreißen zu dürfen.[17] Zu dem Grundstückskauf gehörten auch die „abgängigen unter der Erde belegenen hölzernen Wasser=Röhren soweit diese nämlich unter der vorigen Paulischen Haus Stätte und unter dem gemeinschaftlichen Auffahrts=Platze befindlich sind.“ Ein dem Kontrakt wohl zugehöriger „Situations Plan von der vor Neuhaus belegenen WaßerKunst“[18] bestätigt somit, dass die mittlerweile stillgelegte Wasserleitung vom Hebewerk über die „Pauly=Hausstette“ in nordwestlicher Richtung auf die damalige Hauptstraße (Schloßstraße) zulief. Über die südliche Schlossbrücke dürfte sie dann über die Gräfte in den Innenhof der Residenz weiterverlegt worden sein.

Wohl noch vor dem Weiterverkauf des ehemaligen Wasserkunstgeländes an Adolph Scherpel riss man das Gebäude der „Kleinen Kunst“ vor 1836 ab.[19] Was vom Hebewerk blieb, war ein rund 1,20 Meter breiter und 0,60 Meter tiefer Graben. Dieses teilweise zugeschüttete Gerinne wurde 1849 vom Paderborner Mühlenbesitzer Sander, Scherpels damaligen Kompagnon, probeweise durchstochen. Mit dieser Freilegung wollte Sander beweisen, dass eine neue Weizenmühle den Wasserverbrauch der anderen Müller nicht beeinträchtigen würde. Rasch zeigte sich jedoch, dass den Mühlrädern zwar ausreichend Wasser zufloss, zugleich aber der Wasserstand im „Ringgraben“ dramatisch abfiel. Dieser „Kanal zur Beschaffung von Wirtschaftswasser /: und demnächst auch die Gräben des Schlosses, welche durch den Kanal gespeiset worden“[20] fiel sogar zeitweise trocken. Aufgrund des eingetretenen Wassermangels befürchtete die Neuhäuser Kasernenleitung nun eine mögliche Gesundheitsgefährdung für ihre Soldaten und Pferde. So konnten u. a. die Abtritte auf dem Kasernengelände nicht mehr ausreichend gespült werden.[21] Aus medizinhistorischer Sicht waren zudem die einsetzenden Gerüche auch Mitte des 19. Jahrhunderts noch als „Miasmen“ gefürchtet, welche epidemische Krankheiten auszulösen vermochten. Zugleich bangte man um die Bausubstanz des Schlosses, dessen Fundamente auf einem hölzernen Pfahlrost gegründet waren. Gelangte durch das Absenken des Wasserspiegels in der Schlossgräfte Sauerstoff an die Stützpfosten, verlor das trockengelegte Holz an Konsistenz und Stabilität. Somit wirkte die im 16. Jahrhundert angelegte Kunstwasserführung der Pader bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nach.

[1] Vgl. Börste, Norbert/ Santel, Gregor G.: Schloss Neuhaus bei Paderborn, Berlin 2015, S. 38f.

[2] Eine zeitgenössische Abbildung des zweischaligen Laufbrunnens mit Figur befindet sich u.a. in den „Monumenta Paderbornensia“ des Fürstbischofs Ferdinand v. Fürstenberg (1669/72).

[3] Damit ist die noch jüngst in der Literatur geäußerte Annahme (2015), die „alte Wasserkunst an der Wasserkunstpader“ habe für den „Betrieb der Fontäne“ im barocken Schlossgarten gesorgt, kritisch zu hinterfragen. Vgl. Börste/ Santel, Schloss Neuhaus, S. 79. Auch für eine spätere Errichtung von „Wasserkünste[n]“ unter Fürstbischof Dietrich Adolf v. d. Recke (amt. 1650-1661) nach dem Dreißigjährigen Krieg fehlen konkrete Belege. Vgl. Wurm, Neuhaus, S. 41.

[4] LA Münster, Fürstbistum Pb, Ämterrechnungen Neuhaus (1596/97), Nr. 1046, fol. 92v-93r.

[5] LA Münster, Fürstbistum Pb, Ämterrechnungen Neuhaus (1596/97), Nr. 1046, fol. 92v.

[6] Vgl. Neuheuser, Heinrich: Geschichte der Gemeinde Altenbeken, Paderborn 1960 (ND 1989), S. 20-24.

[7] Die Altenbekener Sägemühle stand wahrscheinlich im Unterdorf. In einem kirchlichen Visitationsbericht des Jahres 1655 wird dort ein „Sagemüller“ verortet. Vgl. Neuheuser, Altenbeken, S. 149.

[8] Periodische Holzfuhren nach Neuhaus gehörten für zahlreiche Hofstellen der Ortschaft Altenbeken zu den fürstlichen Spanndiensten. Den Transport mussten die hörigen Bauern nicht nur mit eigenen Pferdegespannen durchführen, sondern das Holz im Eggegebirge auch selbst schlagen. Vgl. Henning, Bauernwirtschaft, S. 125f.

[9] Für dieses Nebenamt erhielt er jährlich vom Rentmeister 2 Rtl. ausbezahlt. Vgl. Ämterrechnungen Neuhaus (1663/64) und (1672/73), Nr. 1072 und 1081, LA Münster, fol. 129v; 146v.

[10] Teilrechnung, 5. Mai 1758. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 31r.

[11] Vgl. Börste/ Santel, Schloss Neuhaus, S. 75.

[12] Vgl. Hansmann, Wolfgang: Der Neuhäuser Schlossgarten (1585-1994) (Studien und Quellen zur Geschichte von Stadt und Schloß Neuhaus, Bd. 2), Schloss Neuhaus 2009, S. 115-160, hier S. 131f.

[13] Teilrechnung, 19. Jun. 1758. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 29r.

[14] Teilrechnung, 23. Okt. 1758. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 24r.

[15] Teilrechnung, 20. Nov. 1758. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 23r.

[16] Teilrechnung, 20. Nov. 1758. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 23r.

[17] Abschrift des Kaufvertrags, Neuhaus 28. Okt. 1805. LA Detmold, M 1 I U, Nr. 660, unfol.

[18] Vgl. LA Münster, Kriegs- und Domänenkammer Münster 16/324.

[19] Im Jahr 1851 dürfte das Gebäude der Alten Kunst nicht mehr gestanden haben. Ein preußischer Gutachter bezeichnet das Grundstück, „auf welchem früher ein Wasserkunst=Gebäude errichtet und in Betrieb gesetzt war“ als unbebaut. Vgl. technisches Gutachten des preußischen Bauinspektors N.N., 15. Jun. 1851. LA Detmold, M 1 I U, Nr. 660, unfol. Auf der preußischen „Chaussée“-Karte des „Bauconducteurs Leopold“ vom Mai/ Juni 1836 ist das Gebäude der Alten Wasserkunst nicht mehr eingezeichnet. Vgl. StadtA Pb, M 5-11 Nr. 95.

[20] Vgl. Bericht des landrätlichen Kommissars zur Mühlen an Bezirksregierung Minden, 10. Sep. 1849. LA Detmold, M 1 I U, Nr. 660, unfol.

[21] Vgl. technisches Gutachten des preußischen Bauinspektors N.N., 15. Jun. 1851. LA Detmold, M 1 I U, Nr. 660, unfol. Der „kleine Ringgraben“ teile sich nach dem Gutachter „in den rechtsseitigen Arme den Burg=Graben /: Graft genannt:/ von wo das Wasser in die Lippe fließt; in den linksseitigen Arme aber die Abtritte der Kaserne reinigt und von daselbst ebenfalls oberhalb der Alme=Mündung in die Lippe abfließt.“

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Dies ist ein Auszug aus einem Aufsatz des Historikers Prof. Dr. Michael Ströhmer. Der Originaltitel des Aufsatzes lautet: "Wirtschaftsregion Pader - Eine geschichtswissenschaftliche Skizze (1350-1950)". Sollten Sie weiteres Interesse an der Wirtschaftsgeschichte der Pader haben, empfehlen wir Ihnen den vollständigen Aufsatz (PDF-Datei) herunterzuladen.

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